Moderneren Verwertungsrecht: Tatort-Drehbuchautoren und Ihre Wahrnehmung der modernen Medien ...

In einem offenen Brief (in kompletter Länge am Ende dieses Artikels) haben sich 51 Drehbuchautoren der ARD "Tatort" Filme motzend gegen die Netzgemeinde gestellt ... denn Netzgemeinde ist Netzgemeinde und weithin in diesen Kreisen alles eine Suppe. Der "CCC" (Chaos Computer Club) hat eine Antwort auf diesen Brief verfasst:

http://www.ccc.de/de/updates/2012/drehbuchautoren

Dabei sollten die ARD Schreiberlinge vielleicht nicht vergessen: Auch wir Blog-Autoren, die Webseitenbetrieber und Software-Programmierer sind Urheber geistigen Eigentums. Wir erschaffen neue Software und Texte und müssen dafür auch auf die Einhaltung der Rechte von Urhebern setzen - nur haben wir (durch unser tägliches Umfeld) schon begriffen, dass es

(a) einen großen Unterschied zwischen den gerne vorgeschobenen Raubkopierern (à la "kino.to") und der normale Netzgemeine gibt,
(b) bei den gewünschten 100 Jahren wir die ganzen digitalen Daten jetzt schon kaum noch speichern können,
(c) wir diese Datenmassen erst recht nicht auf lange Zeit sichern können (auf welchem Medium denn ?)
(d) und diese Debatten häufig nur Schaumschlägerei sind.

Mögen uns die Drehbuchautoren doch erklären, wie sie Ihre Werke für mehr als 70 Jahre sichern möchten.

Und hier der offene Brief der Autoren:

Liebe Grüne, liebe Piraten, liebe Linke, liebe Netzgemeinde!
Wir Unterzeichner erkennen an, dass Sie alle sich eines veritablen Problems annehmen wollen,
das die zwei großen, am Internet hängenden „Parteien“ betrifft: Die schlechte Lage der Urheber,
ihre unangemessene Vergütung und die millionenfache illegale Nutzung von urheberrechtlich
geschützten Inhalten auf der einen Seite, 600.000 Abmahnungen von Usern und die Möglichkeit
von Netzsperren und (anlassloser) Vorratsdatenspeicherung, die Sie gerne Zensur nennen, auf
der anderen Seite.
Wenn Sie dieses tatsächliche Dilemma aber ernsthaft lösen (helfen) wollen, ist es an der Zeit,
sich von ein paar Lebenslügen zu verabschieden.
Grüne Politiker untermauern das aktuelle Problem üblicherweise durch die Gegenüberstellung
zweier Grund- und Menschenrechte: Der Artikel 27 der Menschenrechte postuliere einerseits den
Schutz des Urhebers als Eigentümer seiner Schöpfung, seiner Werke, andererseits würde der freie
Zugang zu Kunst und Kultur garantiert. Diese dramatische Gegenüberstellung enthält aber gleich
zwei Lebenslügen:
1. Die demagogische Suggestion, es gäbe keinen freien Zugang zu Kunst und Kultur mehr – eine
Behauptung, die durch nichts bewiesen wird. Was auch schwer fallen dürfte: die Bundesrepublik,
die westliche Welt hat in über 100 Jahren ein definiertes, klares System verschiedener
Nutzungsarten und Zugänge herausgebildet.
2. Die demagogische Gleichsetzung von frei und kostenfrei. Die Menschenrechte garantieren in
der Tat einen freien, aber doch keinen kostenfreien Zugang zu Kunst und Kultur. Diese politische
Verkürzung von Grünen, Piraten, Linken und Netzgemeinde dient lediglich der Aufwertung der
User-Interessen, deren Umsonstkultur so in den Rang eines Grundrechtes gehievt werden soll.
Wie überhaupt der ganze Diskurs über das Netz und seine User einen hohen Ton anschlägt und damit
die Banalität von Rechtsverstößen kaschiert oder gar zum Freiheitsakt hochjazzt. Die Grundrechte
der Urheber bzw. der von ihnen beauftragten Rechteinhaber aber werden dagegen marginalisiert: Zum
Beispiel das Grundrecht auf geistiges Eigentum. Dieses Recht wird nicht nur frontal angegriffen und
infrage gestellt, neuerdings schicken gerade die Grünen gerne von Google alimentierte Initiativen
wie collaboratory, Alexander-von-Humboldt-Institut oder auch das (vormalige) Max-Plank-Institut für
geistiges Eigentum vor, die angeblich völlig autonom und unabhängig eine neue Rechtsgrundlage suchen
würden – im sogenannten Immaterialgüter-Recht.
Fakt ist, dass die Urheberrechte in der Bundesrepublik nicht nur durch die Verfassung, sondern auch
durch zahllose, völkerrechtlich verbindliche Verträge auch innerhalb der EU ultimativ verbrieft sind.
Dass dieses Grundrecht aktuell zur politischen Disposition stünde, gehört zu den liebevoll gehegten
Lebenslügen der Netzgemeinde.
Und noch eine Lebenslüge, die allerdings typisch geworden ist für die Berliner Republik: der Ausweg
in die Symbolpolitik. Das Beispiel hierfür sind hier die Schutzfristen, mit denen die Urheber bzw.
ihre Nachfahren von dem eigenen Werk profitieren können. Zur Zeit sind das 70 Jahre post mortem, die
Netzgemeinde fordert radikale Verkürzungen, gern auch mal „Modernisierung“ genannt. Dabei reichen die
Forderungen von „gar keine Schutzfrist“, einer 5-Jahresfrist nach Veröffentlichung des Werkes, die
letzte Forderung der Grünen lautet: „Solange der Urheber lebt“, andere Netzinitiativen nennen 20 Jahre
post mortem.
Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass nirgendwo eine Argumentation versucht wird, warum gerade
diese Eigentumsform überhaupt eine Einschränkung erfahren darf, ist dieser Vorschlag zur Lösung des
o.g. Dilemmas völlig ungeeignet. Nicht nur, dass die Urheber durch diese Schutzfristen-Verkürzung
enteignet und damit dramatisch schlechter gestellt würden, nein, dieser Vorschlag ändert auch kein
bisschen an den Interessen der vermeintlich unschuldigen User: Ihre illegalen Downloads oder
Streamings betreffen in der Masse nur die allerallerneuesten Filme, Musiken, Bücher, Fotos und
Designs – und nicht etwa Werke, die 20, 40 oder 60 Jahre alt sind. Eine Verkürzung der Schutzfristen
würde an diesem Problem also nichts ändern, wäre reine Symbolpolitik: Schaut her, wir haben den
Urhebern auch was weggenommen...
Die vermutlich gravierendste Lebenslüge der selbsternannten Problemlöser zum Schluss: Wenn man Urheber
und User besser stellen will, braucht es ja einen, der diesen Alle-haben-alle-wieder-lieb-Kompromiss,
der den Kram bezahlt – denn wie in allem, was hergestellt wird, steckt auch im „Content“ verdammt viel
Arbeit von Urhebern und kostet deshalb auch Geld, das irgend jemand bezahlen muss. Diesen omnipotenten
Zahler kennt die Netzgemeinde auch schon ganz genau: Nein, nicht Google, youtube und die anderen
Internetserviceprovider, die sich dumm und dämlich daran verdienen, illegale Kontakte zu vermitteln, den
kriminellen Modellen wie kino.to, megaupload, the Pirate Bay etc. überhaupt zum Erfolg zu verhelfen.
Nein, für die Grünen, Piraten und Netzpolitiker aller Parteien ist der große Übeltäter die
Verwertungsindustrie: Sony, Universal, Bertelsmann und, ganz wichtig, natürlich die GEMA und die anderen
Verwertungsgesellschaften. Das sind in ihren Augen die Blutsauger, die sollen die Zeche zahlen.
Mal davon abgesehen, dass die selbsternannten Digital Natives (auch) über diesen Punkt nie direkt mit
den betroffenen Urhebern gesprochen haben, sie haben überhaupt nicht verstehen oder begreifen wollen,
dass bis auf Maler und Bildende Künstler diese Trennung in Ur-heber und „böse“ Verwerter überhaupt
keinen Sinn macht, ja unmöglich ist: Filme, Musikproduktionen, wp- und Werbekampagnen, Architektur-
und Designprodukte werden überhaupt erst realisiert, wenn die künstlerischen Ideen der Urheber mit
Kapital und Vermarktungsknowhow zusammenkommen.
Wenn die Grünen, Piraten, die Netzpolitiker aller Parteien es mit den Urhebern also wirklich ernst
meinen, dann sollten sie zunächst mal mit ihren eigenen Kulturpolitikern sprechen: Die können ihnen
den Zusammenhang von Kunst/Kultur und materieller Absicherung sicher erläutern, ihnen klar machen,
dass die nachhaltige Produktion qualitativ hochwertiger Kunst und Kultur nicht amateurhaft, also wie
Wikipedia organisiert werden kann. Immerhin leben hunderttausende Menschen von kreativer Arbeit und
helfen mit ihren (konkurrenzfähigen) Werken, die ideelle und materielle Zukunft einer post-
industriellen Bundesrepublik auch international zu sichern.
Wenn man die Lage der Urheber nachhaltig verbessern will, dann müssten also alle politischen
Kräfte den Urhebern bzw. ihren Verbänden helfen, das Urhebervertragsrecht zu verbessern, die
Verhandlungspositionen der Urheber gegenüber den Verwertern zu stärken: Mit Hilfe verbindlicher
Regelungen zu den Gemeinsamen Vergütungsregeln (GVR) oder mit einem Verbandsklagerecht,
oder, oder...
Vor allen Dingen sollten die Netzpolitiker aller Parteien die Finger von den Schutzfristen
lassen, und bitte nicht jede Missbrauchskontrolle bei Providern und Usern gleich als den
definitiven Untergang des Abendlandes anprangern: Bei der Suche nach Schwarzfahrern und
teuerhinterziehern zum Beispiel, müssen sich die Bürger auch einige Einschränkungen ihrer
Rechte gefallen lassen.
Für konstruktive Gespräche über den anstehenden historischen Kompromiss zwischen Urhebern
und Usern stehen wir jederzeit bereit.
Mit freundlichen Grüßen
Urs Aebersold
Feo Aladag
Miguel Alexandre
Friedrich Ani
Knut Boeser
Katrin Bühlig
Fred Breinersdorfer
Leonie-Claire Breinersdorfer
Stefan Cantz + Jan Hinter
Orkun Ertener
Christoph Fromm
Klaus Gietinger
Axel Götz
Dinah Marte Golch
Jochen Greve
Harry Göckeritz
Michael Gutmann
Peter Hemmer
Peter Henning
Felix Huby
Stefanie Kremser
Wolfgang Limmer
Petra Lüschow
Daniela Mohr
Martina Mouchot
Clemens Murath
Carolin Otto
Henriette Piper
Claudia Prietzel
Peter Probst
Gerhard J. Rekel
Pim G. Richter
Johannes Rotter
Heike Rübbert
Peter Scheibler
Hartmann Schmige
Holger Karsten Schmidt
Simone Schneider
Susanne Schneider
Dorothee Schön
Thomas Schwank
Xaõ Seffcheque
Markus Stromiedel
Uwe Wilhelm
Michael Wogh
Daniel Wolf
Gerlinde Wolf
Eva Zahn
Volker A. Zahn
Peter Zingler
29. März 2012

Quelle: http://www.drehbuchautoren.de/nachrichten/2012/03/offener-brief-von-51-tatort-autoren-0

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